Spiegel spökenkiekt


Auf Spiegel-Online wird gemutmaßt über das, was wer anders mutmaßt, und wenn man es liest, greift man sich an den Kopf:

Entweder ist der Artikel so grottenschlecht geschrieben, dass man als Leser zum Bahnhof-Verstehen genötigt ist, oder die meinen das ernst, dass sie selber glauben, dass die Bibel umgeschrieben werden wird, weil einer auf einer alten Steinplatte drei Wörter gefunden haben will, von denen man eines nicht lesen kann, aber einer orakelt hinein, dass es was bedeuten könnte, und was dann?

Also:

Da gibt es im nahen Osten eine Steinplatte mit einem Text, der wahrscheinlich aus dem ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung stammt. So weit so gut.

Da stehen Wörter drauf – 87 Zeilen. Was in den Zeilen steht, steht im Spiegel nicht. Ob das sonstwer weiß, schreibt der Spiegel nicht.

Aber der Spiegel schreibt, ein israelischer Bibelforscher namens Knohl glaube in einem als – wohl vom Rest der Welt der Welt so bezeichneten – unleserlich geltenden Wort in der 80. Zeile der Steintafel das damals dort übliche Pendant für das Wort „Leben“ erkennen zu können. Und wo doch in der gleichen Zeile wohl die Zeichen für „drei Tage“ auftauchen, müsse schon vor der Jesus-Ära von Wiederauferstehung gesprochen worden sein, und das Ganze sei wohl ein schriftlicher Befehl zum Weiteratmen des Erzengels Gabriel an einen toten Propheten.

Das Ganze wird nicht schöner, wenn man die ominöse Geschichte der Tafel betrachtet, die schon durch die Tatsache glänzt, dass sie nicht im Rahmen einer offiziellen archäologischen Grabung auftauchte, sondern bei einem Antiquitätenhändler.

Meine Güte, wieviele gefälschte „Wir müssen die Bibel umschreiben“-Relikte sind schon aufgetaucht und wieder verschwunden? Und, hey: Wer glaubt, der Vatikan würde auch nur irgendeinen Beweis – wenn es je einen solchen geben sollte – dafür anerkennen, dass damals in der Bibel auch nur irgendetwas anders gewesen sei, und sei es das Wetter?!

Und wie genau ist das Ding mit der Zeitrechnung, dem angeblichen Leben eines angeblichen Messias, der angeblich Jesus geheißen haben soll und der Datierung von dessen Existenz?

Und wo soll das Problem sein, wenn schon über Wiederauferstehung nachgedacht wurde, bevor einem namens angeblich Jesus angedichtet wurde, darüber gesprochen zu haben? Dass das schon viel früher in anderen Kulturen Thema war, kann auf wikipedia jeder nachlesen. Und da braucht entweder der Forscher namens Knohl nicht so ein Getue zu veranstalten, oder wahlweise der Spiegel nicht so zu tun, als habe er etwas revolutionäres, atemberaubend Spannendes aufgetan.

Was lernen wir daraus?

Es ist Sauregurkenzeit, die Medien lutschen sich wieder einmal zwanghaft Zeugs aus den Fingern, das weder neu noch ordentlich belegt ist.

So schmarrig, wie der hier verrissene Artikel sich liest, könnte der Text in Zeile 87 auf der Tafel am Ende lauten:

„Eine Menge Kohle, die ich dem leichtgläubigen Antiquitätendealer für das Gekritzel auf der Tafel abnehme, da kann ich drei Tage von leben!“

Liebe Spiegel-Kritzler, es ist ja nett, dass Ihr wenigstens das tut, aber Ihr braucht nicht auch noch in die Artikel hineinzuschreiben, dass irgendwelche Testergebnisse noch nicht vorliegen. Das erzeugt bei mir kein Cliffhanger-Gefühl, bloß Misstrauen:

Legt solche Themen doch einfach auf die Wartehalde, bis die Fakten vorliegen und Ihr einen ordentlichen, sauber recherchierten Artikel vorlegen könnt. Schreibt ihn vielleicht auch so ausführlich und schlüssig, dass man sich als Leser nicht an die Stirn greifen muss.

Und diese Unsitte, die Zweifel, die Moshe Bar-Asher, ein anderer Forscher, anmeldet und zur Vorsicht ob der Lückenhaftigkeit des Textes mahnt, erst in den allerletzten Zeilen so mal eben noch drunterzuquetschen, die ist so unfein – das ist kurz vor Bildzeitung.

Und wenn Euch das zu schwierig ist: Soll ich helfen? Ich guck‘ da gern auf Anfrage mal drüber, bevor Ihr Schmarrn auf die Welt loslasst.

Wenn Ihr wild mutmaßen möchtet, dann macht es wie ich und schreibt anonym in einem Blog wirres Zeug. Das wird zwar nicht bezahlt, aber es macht Spaß, und von mir erwartet keiner etwas anderes als buchstäblich seltsames Zeugs.

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14 Antworten to “Spiegel spökenkiekt”

  1. the rufus Says:

    Genau – und ich denke immer noch darüber nach ….

  2. joulupukki Says:

    Man bedenke aber auch das Potential, dass in so einer Tafel steckt! Vielleicht steht ja in Zeile 4 irgendwas von Männern und Liebe und der Vatikan hätte endlich eine Möglichkeit die Kurve zur Homo-Ehe zu kriegen?
    Also buchstäblich, verpulver hier nicht dein ganzes Potential, ab in den Nahen Osten und hübsche Interpretationen schmieden!

  3. berndb Says:

    Endlich mal ein Mensch mit Fantasie!!! Eine Koryphäe, und Du machst ihn so nieder.
    Vielleicht steht dort auch, wann Deutschland wieder Fußballweltmeister wird oder wann eine farbige Frau Präsidentin der USA wird!!!

  4. buchstaeblich Says:

    Als ob die Bibel nicht auch so schon genug Slapstick zum Haareausraufen enthielte…
    Wenn man alle Buchstaben aus der Bibel ausschneidet, kann man dann daraus MacBeth kleben?

  5. Jan Says:

    Zuerstmal ich glaube an gar nichts mehr weil Glauben für mich in erster linie immer im Krieg endet. Wenn man nur mal die Kreuzzüge nimmt oder der Glaube an ein bestimmtest System z.b.: Kapitalismus und Sozialismus im Kalten Krieg. Auf der Steintaffel steht bestimmt das der Papst ein Hase (http://www.planearium2.de/1105.php) sein sollte und das Maria mit Jesus ein Kind hatte. Aber mir kann das egal sein sobald der Staat von mir Kirchensteuer haben will werde ich aus der Kirche austreten. Warum sollte ich Geld dafür bezahlen, wenn ich an etwas glaube.

  6. Netzdschungel » Post Topic » Glauben ja! Aber bezahlen? Warum? Says:

    […] diesem Artikel musste ich wieder über Gott und die Welt nachdenken. Mein Kommentar: Zuerstmal ich glaube an gar […]

  7. Frank Jermann Says:

    Ooops? Ist schon Sommerloch?

    -Frank

  8. buchstaeblich Says:

    Vielleicht ist es auch ein Unfähigkeit-kompetente-Mitarbeiter-einzustellen-Loch bei Spiegel-Online. Oder ein Mitarbeiter-Blödsinn-Verzapf-Kontrollier-vor-Veröffentlichung-Loch.

    Oder die wollten einfach wissen, was ich dazu sage und haben mich provoziert. Dann allerdings gebe ich zu: Ich bin drauf reingefallen.

  9. Frank Jermann Says:

    Ich zitiere mich hier der Einfachheit halber: „Spiegel-Online hat oft bei weitem nicht das Niveau der Druckausgabe. Wer mal die Berichte zur letzten Photokina gelesen hat, der wird das bestätigen.“

    Spiegel-Online hätte man besser Spiegel-ExtraLight getauft. Mit dieser Art der Berichterstattung kann meist sogar ein durchschnittlicher Bild-Leser etwas anfangen.

    -Frank

  10. buchstaeblich Says:

    Genau. Es liest sich wie „von Praktikanten für Praktikanten“.

  11. impuls2008 Says:

    …ich sachs doch immer!

    Die Konrad Kujaus ( http://www.kujau-archiv.de/ ) unserer Zeit sterben nicht aus und gibt es auch anderswo!

    Bin doch schon mal gespannt, wann das erste Jesus- Tagebuch gefunden wird?

  12. the rufus Says:

    Welches Buch ist denn dann MacBeth?

  13. buchstaeblich Says:

    rufus,
    der ganze Text von MachBeth als Extra-Ausgabe in Buchform?
    Das geht so:
    Du nimmst eine Bibel, schneidest schön ordentlich die Buchstaben aus, versuchst MacBeth daraus zusammenzukleben, und wenn das gelungen ist, dann bringst du es zum Buchbinder und der bindet es zum Buch: fertig ist das MacBeth-Buch.

    impuls,

    Du bringst mich auf Ideen!
    😉

  14. impuls2008 Says:

    @rufus
    …ich fürchte McBeth kam um die 1600 Jahre zu spät, um als Jesus- Tagebuch durchzugehen?

    Zudem erinnere ich mich gar nicht daran, das Nazareth in Schottland lag, oder werfe ich da schon wieder was ganz wirr durcheinander?

    @buchstaeblich,

    zu spät, der Spiegel recherchiert nun wohl etwas besser, was er als Medien- Sensation veröffentlicht UND zu was er Vorkasse zu leisten gewillt ist/war…

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